Vergiss das Ordentliche, lass es wuchern!
Garten oder Dschungel? Das frage ich mich gelegentlich, wenn ich meinen Garten betrachte. Mittlerweile ist es ein paar Jahre
her, seit wir beschlossen haben, den Garten "etwas" wilder zu gestalten. Ziel war, viel Raum für Wildkräuter zu lassen, die sich frei ansiedeln, aber auch zugekaufte heimische Wildpflanzen
hereinzuholen, die in der Natur selten geworden sind, und so den heimischen Wildtieren Nahrung, Unterschlupf und Nistmöglichkeiten zu bieten.
Das Schöne an den Wildpflanzen ist: Wenn sie sich wohlfühlen, dann wachsen sie. Und wie! Manchmal, vor allem wenn es wie jetzt
im Mai so richtig los wuchert, frage ich mich allerdings auch, ob ich morgen noch bis zum Gartentor komme, oder zwischenzeitlich im Pflanzengewühl stecken bleibe. Dann kommt in mir die leise
Stimme hoch, dass der Garten nicht wild, sondern vernachlässigt ist (klassische Konditionierung aus früheren Zeiten, wo Gärten ein sauber abgezirkeltes Beet am Haus, einen mit Immergrünen
eingegrenzten Gartenweg und einen absolut blumenfreien Rasen zu haben hatten).
Diese Zweifel währen allerdings nur kurz. Denn was zunächst wie eine Entschuldigung zum Faulenzen klingt (der Garten regelt sich selbst, haha ;-) ist mittlerweile
leider dringende Notwendigkeit. Wir brauchen mehr Wildnis, auch im Garten, wenn wir das Artensterben aufhalten wollen (und das wollen wir alle, auch wenn wir es vielleicht noch nicht wissen, denn
die Alternative will definitiv KEINER!).
Von daher brauchen wir dringend auch eine neue Ästhetik im Garten. Eine, die sich nicht mehr an unkrautfreien Beeten mit den neuesten Zierpflanzen und quietschgrünem
Rasen orientiert, der mit Buchs, Kirschlorbeer und Thuja eingefasst wird, sondern eine Ästhetik, die eine etwas verwuschelte heimische Vielfalt bietet. Hier sind die Farben der Blüten nicht
aufeinander abgestimmt, sondern höchstens die Abfolge der Blütezeiten, damit immer was blüht. Die Blüten sind bei den Wilden sowieso meist weniger auffällig, deshalb aber nicht weniger üppig oder
weniger duftend. Ich möchte auch nicht per se Kirschlorbeer und Co verdammen, sie
sind als Relikte aus alten Zeiten und als Strukturgeber und Vogelversteck auch (noch) in meinem Garten vorhanden. Aber
sobald einer von ihnen das Zeitliche segnet, wird er durch etwas Heimisches, möglichst Wildes ersetzt.
Um nochmal den Aspekt mit der Faulheit aufzugreifen: Auch ein wilder Garten macht Arbeit (siehe Erreichbarkeit der Gartenpforte ;-) Es muss eine ganze Menge gerupft
und geschnitten werden, damit alle Pflanzen eine Chance auf Licht haben und nicht allein die Platzhirsche (Brennnesseln zum Beispiel ;-) die Regie übernehmen. Aber ein solcher Garten hat auch
unbestreitbare Vorteile. Er braucht viel weniger Wasser und ich habe bis auf die eine oder andere Schnecke kaum Schädlingsprobleme. Knabberndes und saugendes Krabbelgetier wird von den Vögeln,
Hornissen und anderen Wespenarten eingesammelt und im Zaum gehalten. Pilze treten selten auf, und dann meist nur, wenn die Pflanze keinen optimalen Standort abbekommen hat. Heißt: Ich brauche
keinen Dünger und ähnliches Gedöns und Pflanzenschutzmittel schon mal gar nicht.
Trotzdem ernte ich jedes Jahr Johannisbeeren, Äpfel und Erdbeeren, und meist mehr als wir auf einmal essen können. Dazu kommen verschiedene Heilpflanzen
(Herzgespann, Klettenlabkraut, Brennnessel, Bärlauch, Gundermann, Hagebutten, Frauenmantel, Mädesüß, Baldrian, etc. und sogar exotischen Mönchspfeffer, auch ein Relikt und so gar nicht heimisch
im hohen Norden ;-)
Wenn du also deinen Garten neu gestalten willst oder eine kleine Ecke übrig hast, denk an die Natur und lass die Wildnis herein :-) Es gehört etwas Mut dazu, aber es
lohnt sich.